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Aktuelle Rechtsprechung des BGH zu Widerrufsfällen

Der 11. Senat des BGH hat mehrere Frage im Zusammenhang mit dem Widerrufsjoker geklärt. Wir fassen die Rechtsprechung zusammen.

Der für Banksachen zuständige 11. Senat des Bundesgerichtshofs hat mit den Entscheidungen vom 23.02.2016 (XI ZR 549/14), 12.07.2016 (XI ZR 564/15), 27.09.2016 (XI ZR 309/15 und XI ZR 99/16), 11.10.2016 (XI ZR 482/15) und 22.11.2016 (XI ZR 434/15) mehrere Frage im Zusammenhang mit dem sog. „Widerrufsjoker“ geklärt. Klar ist nun, dass jedem Darlehensnehmer ein eigenes Widerrufsrecht zusteht und das Weglassen der Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“, sowie die Missachtung der Gestaltungshinweise zur Musterwiderrufsbelehrung die sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ entfallen lässt. Auch die Angabe eines Postfaches ist eine schädliche Abweichung vom Muster.

Hintergrund

Im Zusammenhang mit Widerrufsfällen sind viele Einzelfragen streitig. Ob ein Widerruf wirksam ist hängt davon ab, ob die Widerrufsfrist aufgrund einer mangelhaften Widerrufsbelehrung in Gang gesetzt wurde. Ein Belehrungsmangel kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass der Beginn der Widerrufsfrist undeutlich bestimmt wurde. So ist beispielsweise die Formulierung, die Widerrufsfrist beginne „frühestens“ mit dem Erhalt der Widerrufsbelehrung zu undeutlich.

Allerdings kann der Belehrungsmangel unbeachtlich sein, wenn die Bank das gesetzliche Muster „vollständig“ verwendet hat. Zugunsten der Bank greift in diesem Fall eine Fiktion der Richtigkeit. Dies bedeutet, dass die falsche Widerrufsbelehrung ausnahmsweise als richtig gilt, da die Bank nichts anderes gemacht hat, als das vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Muster abzuschreiben. Die Bank muss dann nicht dafür haften, dass der Gesetzgeber ein mit Fehlern behaftetes Muster erstellt hat. Es greift dann die sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“.

Wegfall der Gesetzlichkeitsfiktion

Hoch umstritten ist jedoch die Frage, wann eine solche Vollständigkeit vorliegt. Hierzu hat der BGH in den vorgenannten Entscheidungen nun mehrere schädliche Musterabweichungen herausgearbeitet. Demnach kann sich die Bank nicht auf das Muster berufen, wenn sie

  • anstelle einer ladungsfähigen Anschrift ein Postfach angegeben hat (vgl. XI ZR 564/15)

  • über der Angabe des Widerrufsadressaten den Text der Musterbelehrung („Name/Firma und ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten“) eingefügt hat (vgl. XI ZR 564/15)

  • eine Fußnote mit dem Text „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“ eingefügt hat vgl. XI ZR 564/15)

  • die Gestaltungshinweise im Abschnitt zu finanzierten Geschäften entgegen dem Wortlaut der Musterbelehrung kombiniert verwendet hat (vgl. XI ZR 482/15)

  • die Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“ weggelassen hat (vgl. XI ZR 482/15)

Widerrufsbelehrung der Sparkassen 2002 – Juli 2008 unwirksam

Aufgrund der Entscheidung vom 12.07.2016 (XI ZR 564/15) steht nun fest, dass Widerrufsbelehrungen der Sparkassen, die bis Juli 2008 verwendet wurden, fehlerhaft sind. Diese enthielten die schädliche Formulierung „frühestens“, sowie die Fußnote „Bitte Frist im Einzelfall prüfen.“. Ein Widerruf eines Vertrages, der diese Widerrufsbelehrung enthält dürfte daher in der Regel wirksam sein.

Widerrufsbelehrung der Sparkassen aus Juli 2008 unbedenklich

Zugunsten der Banken entschied der BGH in den Beschlüssen vom 27.09.2016 (XI ZR 309/15 und XI ZR 99/16) die Widerrufsbelehrungen der Sparkassen, die von Juli 2008 bis Juni 2010 verwendet wurden. Verbraucherschützer sahen in der verwendeten Fußnote „Nicht für Fernabsatzgeschäfte“ einen verwirrenden Zusatz. Der BGH folgt dem nicht. Nach seiner Ansicht ist diese Fußnote unbedenklich. Ein Widerruf von Verträgen mit dieser Widerrufsbelehrung dürfte daher unwirksam sein.

Widerrufsinformation der Sparkassen aus 2010 kann fehlerhaft sein

Ganz aktuelle musste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der Wirksamkeit einer Widerrufsinformation (=Widerrufsbelehrung) aus dem Jahr 2010 beschäftigen. Mit Urteil vom 22.11.2016 (XI ZR 434/15) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Angabe, die Widerrufsfrist beginne „erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB ([…] Angabe der für die Sparkasse zuständigen Aufsichtsbehörde) erhalten hat“ dann unrichtig ist, wenn diese Angabe im Darlehensvertrag nicht enthalten ist. Damit dürften Verträge der Sparkasse aus 2010 und 2011 vielfach noch widerrufbar sein. Der Ausschluss des Widerrufsrechts zum 21.06.2016 gilt hier nicht.

Isoliertes Widerrufsrecht jedes Verbrauchers

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 11.10.2016 (XI ZR 482/15) die Frage geklärt, ob gesamtschuldnerische Darlehensnehmer (bspw. Ehepaare) den Widerruf nur zusammen ausüben können. Dies hat der BGH verneint. Das Widerrufsrecht steht jedem Verbraucher gesondert zu. Übt ein Verbraucher das Widerrufsrecht alleine aus, so wirkt der Widerruf nach § 139 BGB auch für den anderen Darlehensnehmer.

Widerrufsbelehrungen ab dem 10.06.2010 müssen nicht optisch hervorgehoben sein

Zugunsten der Banken hat der BGH mit dem Urteil vom 23.02.2016 (XI ZR 549/14) festgestellt, dass eine optische Hervorhebung nicht notwendig ist, um den gesetzlichen Anforderungen zu genügen. Damit ist auch eine undurchsichtige Ankreuzoption unbedenklich. Bei der Gestaltung der Widerrufsbelehrung für Verträge ab dem 10.06.2010 kann jedoch relevant sein, ob die Widerrufsbelehrung in den Vertrag integriert ist, oder gesondert überreicht wurde. Bei einer Auslagerung der Widerrufsbelehrung aus dem Darlehensvertrag liegt ein Verstoß gegen das Ein-Urkunden-Model vor.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidungen des Bundesgerichtshof haben für die Praxis erhebliche Bedeutung. Zahlreiche Widerrufsbelehrungen aus den Jahren 2002 bis 2008 dürften aufgrund dieser Entscheidungen endgültig unwirksam sein. Dies gilt neben den oben benannten Widerrufsbelehrungen der Sparkassen insbesondere auch für Widerrufsbelehrungen der DKB und der ING DiBa. Die DKB hat regelmäßig die Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“ weggelassen. Die ING DiBa formulierte die Widerrufsbelehrung derart, dass der Eindruck entstehen könnte, das Widerrufsrecht könne bei mehreren Darlehensnehmern nur gemeinsam ausgeübt werden. So lautet eine Vielfach verwendete Formulierung: „Ich/Wir kann/können meine/unsere Vertragserklärung(en) innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen.“. Dass dies die Rechtslage jedoch nicht trifft und jeder Verbraucher gesondert widerrufen kann, hat der Bundesgerichtshof jüngst entschieden (XI ZR 482/15).

Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Klage kann sich lohnen

Die Klärung dieser Einzelfragen schafft eine gewisse Rechtssicherheit. Verbraucher die ein Vorgehen mangels Rechtsschutzversicherung bisher auf Eis gelegt haben, können nun über eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche nachdenken. Bei Verträgen die vor dem 10.06.2010 abgeschlossen wurden ist jedoch eine zwingende Voraussetzungen, dass der Widerruf vor dem 21.06.2016 erklärt wurde. Zu beachten ist zudem, dass die Ansprüche aus dem Widerruf zum Schluss des dritten Jahres, in dem der Widerruf erklärt wurde verjähren. Wurde der Widerruf beispielsweise im Juni 2014 erklärt, begann die Verjährung am 01.01.2015 um 0:00 Uhr und endet am 31.12.2017 um 24:00 Uhr. Bei einem Widerruf aus dem Jahr 2015 entsprechend zum 31.12.2018 und für Widerrufe aus dem Jahr 2016 zum 31.12.2019.

Ein wirksamer Widerruf kann Verbrauchern tausende Euros einsparen

Bei einem wirksamen Widerruf muss die Bank den Kunden kostenlos aus dem Darlehen entlassen und die bis zum Widerruf erhaltenen Raten und Sondertilgungen mit 2,5 %-Punkten über dem Basiszinssatz verzinsen. Damit können Verbraucher durch den Widerruf tausende Euros sparen, wie unsere Statistik zeigt.

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David Stader

Fachanwalt für Bankrecht & Kapitalmarktrecht

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